Satirischer Beitrag vom 13.Dezember 2010
Ich heiße Wolfgang S. ...und ich bin ein Rindviech!
Ihr fragt: Warum? - Ist doch klar. Hört zu!
1958 bis 1968 lebte ich frei wie ein Kalb auf riesengroßen Weiden. Ich fühlte mich wie meine Verwandten, die stolzen Wisente. Ich lernte in der Schule, jedes Rind sei gleich auf dieser Welt.
Doch dann kam mein Bauer und teilte mich zu den Rindviechern ein, die die Hauptschule oder die Realschule besuchen sollten. Andere wurden zu den Elite-Weiden gebracht, die so reich an Kräutern waren, dass sie automatisch zu Elite-Rindviecher werden mussten.
Ich wusste noch nicht, was dies bedeutet. Ich war zu jung. Für mich war die große Wiese mit Ihren vielen schönen Blumen viel wichtiger als diese Einteilung.
Wir waren frei und ungebunden. Das Lernen war nicht so wichtig. Wir waren Hauptschüler oder Realschüler - und alle gleich. Wir besaßen Rindviecherrechte und es gab eine Stallordnung, das Grundgesetz. So sagten es uns unsere Rindviecher-Lehrer.
Dann kamen wir auf Weiden mit Zäunen und mussten plötzlich zweimal täglich Milch geben. Aber auch das fiel uns leicht, da wir ja schöne grüne Weiden hatten und glücklich waren Milch geben zu dürfen. Dafür wurden wir von unserem Bauern vor bösen Wölfen und Bären beschützt. Unser Bauer verkaufte unsere Milch und wurde davon ein Wohlstandsbürger und wir mit ihm zu Wohlstandsrindviechern.
Wohlergehen reichte manchen Bauern aber nicht. Sie wollten Macht und Einfluss haben. Sie nannten sich dann Großbürger oder Adelige. Durch Sie wurden die kleinen Bauern mit weniger Rindviechern nach und nach durch Konkurrenzdruck vernichtet und die großen Bauern übernahmen uns glückliche, milchgebenden Rindviecher.
Dadurch änderte sich unser Leben, - langsam aber stetig.
Wir wurden nach und nach in dunkle Ställe gesperrt. Wir hatten nichts anderes mehr zu tun als zu fressen und Milch zu geben, zu fressen und Milch zu geben, zu fressen und Milch zu geben ... Immer mehr wollten diese großen Bauern von uns. Sie gaben uns Mittel, die dazu führten, dass unsere Euter immer größer wurden. Und unsere Besitzer wurden immer reicher dabei. Ich sah nur noch meinen eigenen Stallplatz und meinen Nachbarn rechts oder links von mir. Wie früher einmal über die Wiese zu muhen, war nicht mehr drin. Keine Zeit. Wir waren zu müde vom dauernden Fressen und dauerndem Milchgeben.
Da der eine Großbauer dem anderen Großbauern nichts gönnte, kamen die Großbauern auf die Idee uns kein saftiges Gras oder teures Kraftfutter mehr zu füttern, sondern Tiermehl und künstliche Verstärker. Dadurch konnten sie ihre Profite noch mehr steigern und noch mehr Konkurrenten ausstechen, weil die Milch noch billiger wurde. Viele von uns fielen, wegen des Tiermehls und dem anderen Zeugs, dem Rinderwahnsinn zum Opfer. Aber das hielt die großen Bauern nicht ab: die Ställe wurden immer größer und wir wurden zu kleinen Nummern, die sich nur noch durch ihre Markierung am Ohr voneinander unterschieden.
Der Reichtum unserer Besitzer wurde auch immer größer. Als Rindviech merkte ich davon aber nichts. Ich sah ja nur meine Rindviehnachbarn links und rechts.
Wenn wir uns beschwerten, kamen Elite-Rindviecher, die sie Politiker nannten, und beteten uns vor, wie gut es uns doch ginge. Wir gehörten doch zum reichsten Stall der Welt. Und wenn wir nicht mitmachen, dann werde der Stall einfach geschlossen. Ratzfatz! Wir durften diese Elite-Rindviecher sogar selbst wählen. - Als gutes, treues Rindviech beruhigte mich das wieder ... und die anderen auch. Und wir machten weiter. Fressen, milchgeben, fressen, fressen, milchgeben, milchgeben ...
Warum sollten wir klagen? Futter war ja genug da, zwar kein saftiges Grünfutter mehr, aber immerhin machte es auch satt.
Seit Neuestem dürfen wir auch wieder frei im Stall herumlaufen. Gemolken werden wir jetzt vollautomatisch.
Manchmal erinnern sich ein paar von uns, man nennt Sie „Linke“, an die schöne Zeit auf den Weiden. Aber „die Linken“, so sagen uns die Elite-Rindviecher, sind böse und würden unseren Wohlstand vernichten.
Als Rindviech glaubte ich dies. Hauptsache wir bekamen Futter und jedes Jahr ein Kalb. – Obwohl -Früher kam noch ein Bulle, um mir das Kalb zu schenken. Heute nur noch ein Plastikschlauch. Aber ich lebe ja im reichsten Stall der Welt, mir geht’s ja gut!
Ich werde älter und meine Milchproduktion fällt mir immer schwerer. Doch das interessiert niemanden. Mein Großbauer sagte klar und deutlich: „Wir brauchen immer mehr Milch, sonst ist unser Wohlstand am Ende“. Mit „unser Wohlstand“ meinte er natürlich seinen eigenen Wohlstand! Also quäle ich mich als gutes deutsches Rindviech weiter. Nur nichts anmerken lassen, jung wie ein Kälbchen tun, das macht ein gutes Rindviech heutzutage aus, egal wie alt es ist.
Ich sehne mich danach bald in Rente gehen zu können. Aber da kam unserem Großbauern wieder eine Idee, wie er „unseren“ – wir wissen ja: er meinte „seinen“ - Wohlstand mehren konnte. Rindviecher müssen bis 67 Milch geben, weil es ja immer mehr alte Rindviecher gibt. Wer nicht bis 67 Milch geben kann, bekommt eine magere Wiese, bis er hoffentlich bald stirbt. Die Rindviecher, die bis 67 arbeiten, bekommen blühende satte Wiesen, das hat man ihnen aber nur versprochen.
Unsere Oberrindviecher, Gewerkschafter genannt, akzeptierten dies, weil viele von Ihnen inzwischen auch Elite-Rindviecher waren, also Politiker. Und die Politiker, die diese Rente mit 67 einführten, nahmen uns auch die Möglichkeit zu streiken. Denn sie erfanden vorher Hartz IV. Ebenfalls geduldet von den Oberrindviechern. Hartz IV funktioniert so:
Wer aus dem Stall fliegt, weil er sich wehrt, muss auf kargen Weiden leben, ohne noch jemals mit den fetten anderen Rindviechern Kontakt zu haben. Seine Kälber werden automatisch zu den Rindviechern, die in die Hauptschule oder weniger gehen sortiert. Sie können dann wieder nur Milch produzieren oder ihr ganzes Leben auf kargen Weiden verbringen. Bei vielen wird es dann beides: karge Weiden und dazu noch der Zwang Milch zu produzieren. Welches Rindviech will denn das schon für sein Kalb. Deshalb: Nie wieder streiken! Nie wieder um seine Rechte kämpfen! Nie wieder Solidarität zeigen! Zu gefährlich!
Manchmal, ganz heimlich - bitte nicht weitersagen - manchmal träume ich davon, wie es war, als es noch freie, wilde Wisente gab, (Bin ich jetzt ein böser Linker?) als das Gras noch für jeden da war, als es noch keine Zäune gab, als es keine Großbürger und Adligen gab, die sich alles Land unter den Nagel gerissen haben, als meine Milch noch ausschließlich meinem Kalb gehörte, als unsere Kälber nicht eingeteilt wurden, sondern zu stolzen Wisenten heranwuchsen und Ihren Platz je nach Neigung selber suchten, als ein Raubtier zwar eines von uns töten konnte, der Rest aber stolz und aufrecht durch die Weiten Europas zog.
Ich stelle mir vor, wie ich meinen Kopf senke, genauso als würde mich ein Raubtier bedrohen, ich stelle mir vor, durch die Nase zu schnauben, aaah ist das schön …, dabei mit den Hufen zu scharren, ...aaaaah so schön ..., und dabei den Großbürgern und Adeligen meine mächtigen Hörner zu zeigen.
Was würden die wohl tun, wenn dies alle Rindviecher dieser Welt gleichzeitig täten?
Ich glaube, ich bin schon ein seltsam großes Rindviech: Ich lebe lieber im dunklen Stall, gebe lieber meine Milch her für den Wohlstand der Adeligen und Großbürger, … anstatt die Zäune einzureisen und frei und unbeschwert in einer großen Herde durch die Weiten Europas zu ziehen.
Versteht Ihr jetzt, warum ich ein Rindviech bin?
Wolfgang Schäfer
Ihr fragt: Warum? - Ist doch klar. Hört zu!
1958 bis 1968 lebte ich frei wie ein Kalb auf riesengroßen Weiden. Ich fühlte mich wie meine Verwandten, die stolzen Wisente. Ich lernte in der Schule, jedes Rind sei gleich auf dieser Welt.
Doch dann kam mein Bauer und teilte mich zu den Rindviechern ein, die die Hauptschule oder die Realschule besuchen sollten. Andere wurden zu den Elite-Weiden gebracht, die so reich an Kräutern waren, dass sie automatisch zu Elite-Rindviecher werden mussten.
Ich wusste noch nicht, was dies bedeutet. Ich war zu jung. Für mich war die große Wiese mit Ihren vielen schönen Blumen viel wichtiger als diese Einteilung.
Wir waren frei und ungebunden. Das Lernen war nicht so wichtig. Wir waren Hauptschüler oder Realschüler - und alle gleich. Wir besaßen Rindviecherrechte und es gab eine Stallordnung, das Grundgesetz. So sagten es uns unsere Rindviecher-Lehrer.
Dann kamen wir auf Weiden mit Zäunen und mussten plötzlich zweimal täglich Milch geben. Aber auch das fiel uns leicht, da wir ja schöne grüne Weiden hatten und glücklich waren Milch geben zu dürfen. Dafür wurden wir von unserem Bauern vor bösen Wölfen und Bären beschützt. Unser Bauer verkaufte unsere Milch und wurde davon ein Wohlstandsbürger und wir mit ihm zu Wohlstandsrindviechern.
Wohlergehen reichte manchen Bauern aber nicht. Sie wollten Macht und Einfluss haben. Sie nannten sich dann Großbürger oder Adelige. Durch Sie wurden die kleinen Bauern mit weniger Rindviechern nach und nach durch Konkurrenzdruck vernichtet und die großen Bauern übernahmen uns glückliche, milchgebenden Rindviecher.
Dadurch änderte sich unser Leben, - langsam aber stetig.
Wir wurden nach und nach in dunkle Ställe gesperrt. Wir hatten nichts anderes mehr zu tun als zu fressen und Milch zu geben, zu fressen und Milch zu geben, zu fressen und Milch zu geben ... Immer mehr wollten diese großen Bauern von uns. Sie gaben uns Mittel, die dazu führten, dass unsere Euter immer größer wurden. Und unsere Besitzer wurden immer reicher dabei. Ich sah nur noch meinen eigenen Stallplatz und meinen Nachbarn rechts oder links von mir. Wie früher einmal über die Wiese zu muhen, war nicht mehr drin. Keine Zeit. Wir waren zu müde vom dauernden Fressen und dauerndem Milchgeben.
Da der eine Großbauer dem anderen Großbauern nichts gönnte, kamen die Großbauern auf die Idee uns kein saftiges Gras oder teures Kraftfutter mehr zu füttern, sondern Tiermehl und künstliche Verstärker. Dadurch konnten sie ihre Profite noch mehr steigern und noch mehr Konkurrenten ausstechen, weil die Milch noch billiger wurde. Viele von uns fielen, wegen des Tiermehls und dem anderen Zeugs, dem Rinderwahnsinn zum Opfer. Aber das hielt die großen Bauern nicht ab: die Ställe wurden immer größer und wir wurden zu kleinen Nummern, die sich nur noch durch ihre Markierung am Ohr voneinander unterschieden.
Der Reichtum unserer Besitzer wurde auch immer größer. Als Rindviech merkte ich davon aber nichts. Ich sah ja nur meine Rindviehnachbarn links und rechts.
Wenn wir uns beschwerten, kamen Elite-Rindviecher, die sie Politiker nannten, und beteten uns vor, wie gut es uns doch ginge. Wir gehörten doch zum reichsten Stall der Welt. Und wenn wir nicht mitmachen, dann werde der Stall einfach geschlossen. Ratzfatz! Wir durften diese Elite-Rindviecher sogar selbst wählen. - Als gutes, treues Rindviech beruhigte mich das wieder ... und die anderen auch. Und wir machten weiter. Fressen, milchgeben, fressen, fressen, milchgeben, milchgeben ...
Warum sollten wir klagen? Futter war ja genug da, zwar kein saftiges Grünfutter mehr, aber immerhin machte es auch satt.
Seit Neuestem dürfen wir auch wieder frei im Stall herumlaufen. Gemolken werden wir jetzt vollautomatisch.
Manchmal erinnern sich ein paar von uns, man nennt Sie „Linke“, an die schöne Zeit auf den Weiden. Aber „die Linken“, so sagen uns die Elite-Rindviecher, sind böse und würden unseren Wohlstand vernichten.
Als Rindviech glaubte ich dies. Hauptsache wir bekamen Futter und jedes Jahr ein Kalb. – Obwohl -Früher kam noch ein Bulle, um mir das Kalb zu schenken. Heute nur noch ein Plastikschlauch. Aber ich lebe ja im reichsten Stall der Welt, mir geht’s ja gut!
Ich werde älter und meine Milchproduktion fällt mir immer schwerer. Doch das interessiert niemanden. Mein Großbauer sagte klar und deutlich: „Wir brauchen immer mehr Milch, sonst ist unser Wohlstand am Ende“. Mit „unser Wohlstand“ meinte er natürlich seinen eigenen Wohlstand! Also quäle ich mich als gutes deutsches Rindviech weiter. Nur nichts anmerken lassen, jung wie ein Kälbchen tun, das macht ein gutes Rindviech heutzutage aus, egal wie alt es ist.
Ich sehne mich danach bald in Rente gehen zu können. Aber da kam unserem Großbauern wieder eine Idee, wie er „unseren“ – wir wissen ja: er meinte „seinen“ - Wohlstand mehren konnte. Rindviecher müssen bis 67 Milch geben, weil es ja immer mehr alte Rindviecher gibt. Wer nicht bis 67 Milch geben kann, bekommt eine magere Wiese, bis er hoffentlich bald stirbt. Die Rindviecher, die bis 67 arbeiten, bekommen blühende satte Wiesen, das hat man ihnen aber nur versprochen.
Unsere Oberrindviecher, Gewerkschafter genannt, akzeptierten dies, weil viele von Ihnen inzwischen auch Elite-Rindviecher waren, also Politiker. Und die Politiker, die diese Rente mit 67 einführten, nahmen uns auch die Möglichkeit zu streiken. Denn sie erfanden vorher Hartz IV. Ebenfalls geduldet von den Oberrindviechern. Hartz IV funktioniert so:
Wer aus dem Stall fliegt, weil er sich wehrt, muss auf kargen Weiden leben, ohne noch jemals mit den fetten anderen Rindviechern Kontakt zu haben. Seine Kälber werden automatisch zu den Rindviechern, die in die Hauptschule oder weniger gehen sortiert. Sie können dann wieder nur Milch produzieren oder ihr ganzes Leben auf kargen Weiden verbringen. Bei vielen wird es dann beides: karge Weiden und dazu noch der Zwang Milch zu produzieren. Welches Rindviech will denn das schon für sein Kalb. Deshalb: Nie wieder streiken! Nie wieder um seine Rechte kämpfen! Nie wieder Solidarität zeigen! Zu gefährlich!
Manchmal, ganz heimlich - bitte nicht weitersagen - manchmal träume ich davon, wie es war, als es noch freie, wilde Wisente gab, (Bin ich jetzt ein böser Linker?) als das Gras noch für jeden da war, als es noch keine Zäune gab, als es keine Großbürger und Adligen gab, die sich alles Land unter den Nagel gerissen haben, als meine Milch noch ausschließlich meinem Kalb gehörte, als unsere Kälber nicht eingeteilt wurden, sondern zu stolzen Wisenten heranwuchsen und Ihren Platz je nach Neigung selber suchten, als ein Raubtier zwar eines von uns töten konnte, der Rest aber stolz und aufrecht durch die Weiten Europas zog.
Ich stelle mir vor, wie ich meinen Kopf senke, genauso als würde mich ein Raubtier bedrohen, ich stelle mir vor, durch die Nase zu schnauben, aaah ist das schön …, dabei mit den Hufen zu scharren, ...aaaaah so schön ..., und dabei den Großbürgern und Adeligen meine mächtigen Hörner zu zeigen.
Was würden die wohl tun, wenn dies alle Rindviecher dieser Welt gleichzeitig täten?
Ich glaube, ich bin schon ein seltsam großes Rindviech: Ich lebe lieber im dunklen Stall, gebe lieber meine Milch her für den Wohlstand der Adeligen und Großbürger, … anstatt die Zäune einzureisen und frei und unbeschwert in einer großen Herde durch die Weiten Europas zu ziehen.
Versteht Ihr jetzt, warum ich ein Rindviech bin?
Wolfgang Schäfer
14. Dez, 17:17