Sonntag, 23. August 2009

36. Montagsdemo, Rede von Emanuel Peter

Liebe Freundinnen und Freunde der Montags-Demonstration!

Gegenwärtig überbieten sich die neoliberalen Parteien in populistischen Wahlversprechen: Die FDP will das „Schonvermögen“ von Hartz-IV-Beziehern erhöhen, das in den letzten Monaten sie viermal im Bundestag abgelehnt hatte. Gemeinsam mit der CDU will sie Steuersenkungen für Reiche durchsetzen unter dem Vorwand, die „kalte Progression“ zu bekämpfen. Die SPD verspricht vier Millionen Arbeitsplätze, das kann man auch als Drohung verstehen, den Niedriglohnsektor noch weiter auszudehnen. Die Grünen sind neuerdings für Mindestlöhne, treten in der Tübinger Kreisarmutskonferenz aber heftig gegen gebührenfreie Kindergartenplätze auf. Der grüne OB in Freiburg ist offen gegen das Streikrecht von Kindergärtnerinnen aufgetreten.
Parallel dazu läuft in den Gemeinderäten eine ganz andere Diskussion: Überall klaffen ganz urplötzlich Riesensteuerlöcher, von denen niemand etwas geahnt haben will. Nachdem Tübingen 2008 fast schuldenfrei war, fehlen im nächsten Jahr 23 Mio. Euro und bis 2011 sogar 52 Mio. Euro im Stadtsäckel. In Rottenburg regiert der Rotstift: Weil die Steuerschätzung jetzt schon 2,5 Mio. Fehlbetrag für dieses Jahr vorhersagt, werden im nächsten Jahr mit dem Rasenmäher alle Ausgaben um 15 Prozent gekürzt. In Esslingen hat die Rathausspitze eine Horrorliste von über 100 Kürzungen aufgestellt, um 44 Mio. Euro einzusparen, von der Schließung eines Freibades über Kürzungen beim Straßenbau bis zur Straßenreinigung. Die Fantasie beim Streichen kennt keine politischen Grenzen: In Rottenburg hat eine Bürgerliste die Bildung einer „Sparkommission“ vorgeschlagen, dies wurde von der SPD begeistert gefeiert.

Liebe Freundinnen und Freunde der Montags-Demonstration!

Woher kommen die jetzigen Steuerlöcher? Waren sie tatsächlich nicht vorhersehbar?
Statt den letzten Konjunkturaufschwung dafür zu benutzen, die Staatsschulden abzubauen und in die Zukunft unserer Umwelt und unserer Kinder zu investieren, hat
die Bundesregierung zum 1. Januar 2008 mit der Unternehmenssteuerreform Steuernachlässe von über 10 Mrd. Euro für Unternehmen, Aktionäre und Vermögende beschlossen, die direkt zu Mindereinnahmen der Gemeinden führen. Dies gilt auch für die Absenkung der Gewerbesteuer, der Kapitalertragssteuer und insbesondere für die Körperschaftssteuer, die von 25 auf 15 Prozent gesenkt wurde und die zusammen eine entscheidende Einnahmequelle der Kommunen sind.
So ist es kein Wunder, dass die kassenmäßigen Einnahmen des Landes Baden-Württemberg im 1. Halbjahr 2009 bei den Steuern von Unternehmen und Vermögen zu einem Rückgang zwischen 25 und 34 Prozent führen, bei der Lohnsteuer dagegen nur um sieben Prozent. Die Folgen dieser katastrophalen Steuerpolitik der Bundesregierung beschreibt das „Handelsblatt“. Ich zitiere: „Der Juni ist einer der vier Monate im Jahr, in denen die Wirtschaft ihre Steuervorauszahlungen leistet. (..) Diesmal brachen allerdings die gewinnabhängigen Steuern auf breiter Front ein. Das Körperschaftssteueraufkommen sank um mehr als die Hälfte. Statt wie im Vorjahr gut fünf Mrd. Euro überwiesen die Kapitalgesellschaften im Juni nur noch rund 2,5 Mrd. Euro an den Fiskus. (..) Einen ähnlichen Einbruch gab es bei den auf Dividenden fälligen ‚nicht veranlagten Steuern vom Ertrag’. Trotz der Erhöhung des Steuersatzes von 20 auf 25 Prozent sank das Aufkommen um 51,7 Prozent.“ (13.Juli 2009) Wegen der Rückzahlungen auf quartalsweise vorausgezahlte Steuern erwartet das Handelsblatt sogar ein negatives Körperschaftssteueraufkommen für das gesamte Jahr 2009!
Die Unternehmer eignen sich nicht nur den gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtum in den Betrieben an und erhöhen ihre Profite durch Lohnsenkungen, gestiegene Produktivität und längere Arbeitszeiten. Nein, sie plündern auch die Staatskassen über eine gezielte Steuerumverteilung. Denn die Steuerkürzungen für Unternehmen und Vermögende auf Bundesebene haben direkte Folgen für die Haushaltslöcher in den Kommunen: Die Gemeinden finanzieren sich wesentlich über die Gewerbesteuer, über die Schlüsselzuweisungen des Landes und über den Gemeindeanteil von den Bundessteuern. Wenn die Berliner Regierung also die Steuern für Unternehmen, Aktionäre und Reiche senkt, hat dies direkte Auswirkungen auf die Gemeindehaushalte und deren Investitionsvermögen für Schulen, Kindergärten, Straßenbau und Hochwasserschutz. Es ist deshalb wesentlich, dass wir eine gerechte Steuerpolitik auf Bundesebene fordern: Die Reichen müssen endlich für die Krise bezahlen, alle Privatvermögen über einer Million müssen fünf Prozent Vermögenssteuer bezahlen. Parallel dazu müssen wir uns in die Gemeindehaushalte einmischen und andere Prioritäten fordern.

Liebe Freundinnen und Freunde der Montags-Demonstration!

Am letzten Freitag hat Tübingens OB Boris Palmer einen fünfseitigen Brief an Guenter Oettinger geschrieben: Scharf kritisiert er darin, dass die Bundes- und die Landesregierung ihre Zusage, die Kleinkind-Betreuung unter drei Jahren zu zwei Dritteln zu finanzieren, in den Mülleimer geworfen haben. In Tübingen allein sind 180 Kleinkinder unter drei Jahren auf der Warteliste für einen Kita-Platz. Für die Stadt Tübingen bedeutet dieses Verhalten von Bundes- und Landesregierung eine Kostensteigerung für die Kinderbetreuung auf 35 Mio. Euro im Jahr 2013. Boris Palmer kritisiert den Populismus von CDU und SPD, wenn er schreibt: „Immer mehr öffentliche Angebote zu immer niedrigeren Steuersätzen sind schlicht eine Illusion.“
Ich denke, man muss diese Kritik von Palmer und seine Forderung nach Finanzierung der Kinderbetreuung unbedingt unterstützen. Sie zeigt die richtige Richtung. Denn es sind die Steuergeschenke der Bundesregierung, die maßgeblich Schuld an den Haushaltslöchern der Kommunen sind, sie müssen zurückgenommen werden. Am besten durch die Einführung einer Millionärssteuer, wie sie nicht nur Ver.di fordert, sondern auch eine Initiative von Reichen. Der frühere Arzt Dieter Lehmkuhl zeigt an seinem eigenen Beispiel, wie er von der Steuergesetzgebung der Regierung, erst rot-grün, dann rot-schwarz, profitiert hat: Zwischen 2000 und 2007 sei sein Grundeinkommen konstant geblieben. Hingegen habe sich sein Einkommen aus Kapital und sonstigem Vermögen verdoppelt, das zu versteuernde Einkommen um ein Drittel verringert, die zu zahlenden Steuern sogar halbiert. Lehmkuhls persönliches Beispiel bestätigt die Tatsache, dass die Millionäre durch SPD und Grüne jährlich 100 Mio. Euro Steuern weniger zahlen müssen als Ende der 90er Jahre. Hinzu kommt, dass der Staat durch Steuergeschenke an Großunternehmen in den Jahren 2001 bis 2008 über 100 Mrd. Euro weniger in der Kasse hat.

Liebe Freundinnen und Freunde der Montags-Demonstration!

Die Steuergesetze der Bundesregierung sind ein Skandal, weil sie die Supermillionäre immer weiter beschenken. Letztes Beispiel für heute: Kürzlich wurde die so genannte Quellensteuer auf Dividenden eingeführt. Reiche müssen jetzt ihre Dividenden nur noch mit 25 Prozent besteuern statt wie bisher mit ihrem persönlichen Steuersatz von bis zu 42 Prozent. Aber: GELD GENUG IST DA – NUR IST ES FALSCH VERTEILT. Ein Zehntel unserer Gesellschaft besitzt 60 Prozent des Privatvermögens von 6.600 Milliarden Euro, 60 Prozent der Bevölkerung besitzen nichts oder haben Schulden. Das ist das Ergebnis von Rot/ Grün und Schwarz/Rot.
Wir kämpfen bei den Bundestagswahlen nicht nur für einen Mindestlohn, für die Abschaffung von Hartz IV, für Arbeitszeitverkürzungen – wir kämpfen auch für eine gerechte Steuerreform, für eine Millionärssteuer, weil sonst die Haushalte in den Kommunen an die Wand gefahren werden. Dafür brauchen wir ein großes gesellschaftliches Bündnis aus allen sozialen Bewegungen, linken Parteien und Gewerkschaften. Mischen wir uns auf allen Ebenen ein, nicht nur bundespolitisch, sondern auch in den Kommunen. Sonst wird uns das Fell über die Ohren gezogen! Auf geht’s!

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.

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